Neues Zivilgesetzbuch für China

Bei aller Diskussion um neue Investitionsabkommen zwischen der EU und China, RCEP und die Zukunft der Handelsbeziehungen zwischen US und China, scheint übersehen worden zu sein, dass in China seit dem 01.01.2021 ein neues Zivilgesetzbuch in Kraft ist.
Was das Besondere daran sein soll? Jedenfalls das Festland China, wie es seit der Machtübernahme der kommunistischen Partei besteht, hatte bislang kein mit dem deutschen BGB vergleichbares Zivilgesetzbuch. Es bestanden lediglich einzelne zivilrechtliche Gesetze, wie beispielsweise das Vertragsrecht, das Schadensersatzrecht, das Eherecht oder das Erbrecht, etc. Diese einzelnen Gesetze erfuhren dabei bislang eine „Klammer“ durch die sogenannten „Allgemeinen Prinzipien des Zivilrechts“.
Diese, und weitere zivilrechtliche Gesetze, sind nun zu einem Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China zusammengefasst worden. Aus rechtshistorischer Sicht ist das ein sicherlich bemerkenswerter Schritt, wie alle nationalen Kodifizierungen des Zivilrechts.
In nun insgesamt 1260 Artikel hat China also jetzt sein Zivilrecht kodifiziert. Dabei wurden nicht nur die bisherigen Gesetze zu einem Kodex zusammengefasst, sondern auch einzelne Bereiche und Rechtsfragen inhaltlich neu gefasst. Auch für chinesische Anwälte sind diese Neuerungen und deren Konsequenzen bislang nur schwer überschaubar. Wir werden in Zusammenarbeit mit unseren chinesischen Kooperationsanwälten in nächster Zeit versuchen die für den wirtschaftlichen Verkehr und den grenzüberschreitenden Austausch wesentlichsten Veränderungen für Sie zusammenzufassen.
Die aktuell wohl drängendste Frage ist, auf welche Sachverhalte denn nun in der Übergangszeit noch die bisherigen Gesetze Anwendung finden, und ab wann das neue chinesische Zivilgesetzbuch zu Anwendung kommt.
Eine Antwort dazu findet sich nicht im neuen Zivilgesetzbuch selbst, sondern in Ausführungsbestimmungen des Obersten Gerichtshofs der Volksrepublik China vom 29.12.2020. Demnach gilt, dass grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entstehung der rechtlich relevanten Tatsachen des jeweiligen Falles abzustellen ist. Ist also eine rechtlich relevante Tatsache nach dem 01.01.2021 entstanden, dann kommt darauf das neue Zivilgesetzbuch zur Anwendung. Das kann im Einzelfall jedoch schnell kompliziert werden, bspw. im Fall einer Scheidung eines deutsch -chinesischen Ehepaares nach chinesischem Recht im Jahr 2021, wenn das gemeinsame Vermögen (bspw. Immobilien und Unternehmen in China) in den Ehejahren zuvor gemeinschaftlich erwirtschaftet worden ist.
Davon abgesehen: Bei genauerer Betrachtung wird die Rechtslage auch sehr unklar, wenn es um rechtliche Tatsachen von vor dem 01.01.2021 geht. Zum einen hat der Oberste Gerichtshof in seinen Bestimmungen für einzelne Artikel des Zivilgesetzbuches spezifische Anwendungsregelungen formuliert. Zum anderen bestehen allgemeine Anwendungsbestimmungen mit so genannten unbestimmten Rechtsbegriffen, beispielsweise für den Fall, dass bislang keine spezifischen zivilrechtlichen Regelungen bestanden haben. Dann könnte – unter bestimmten Voraussetzungen – auch das neue Zivilgesetzbuch auf Angelegenheiten vor dem 01.01.2021 zur Anwendung kommen. Die Ausführungsbestimmungen geben dabei zum Teil erheblichen Interpretationsspielraum. Das führt im Streitfall eher zu mehr Rechtsunsicherheit hinsichtlich des zeitlich anwendbaren Rechts.
Damit gilt: Bis auf weiteres ist bei zivilrechtlichen Streitfällen mit Chinabezug nicht nur das materielle chinesische Recht zu prüfen, sondern auch die im Einzelfall zeitlich zur Anwendung kommende chinesische zivilrechtliche Regelung.
Kurz gesagt, bis auf weiteres ist die Frage auch: Was gilt? Bisheriges Recht, oder neues Recht?
Wir unterstützen Sie bei Ihren Angelegenheiten mit Chinabezug!